„Angst.“

Das Leben beginnt da, wo die Angst endet.
Angst - jeder kennt sie. Man fürchtet sich vor Spinnen. Man fürchtet sich vor Dunkelheit. Man hat Angst vor der nächsten Prüfung. Meine Angst? Meine Angst ist, dass ich eines Tages nicht mehr selbstständig leben kann. Leben heißt, meine Versorgung für das Stoma wechseln. Was mache ich wenn ich mich nicht mehr genug bewegen kann um die Basisplatte der Versorgung auszuschneiden? Präzise und rund. Die Platte zu fixieren. Die Paste auf die Platte aufzutragen. Genau um den Ausschnitt herum. Die Platte auf den Bauch zu drücken damit sie hält. Wie soll das funktionieren wenn die Finger so schmerzen? Die Gelenke das nicht mitmachen weil man vor Schmerzen keinen Druck ausüben kann? Ich habe mich mit dem Thema "Rheumathoide Arthritis" lange Zeit nicht so intensiv beschäftigt. Eben aus der Angst heraus, dass ich etwas zu lesen oder zu sehen bekomme, wodurch ich dann noch mehr Angst bekomme. Aber durch die ständigen Schmerzen, die nicht wirkenden Medikamente, musste ich irgendwann mal schauen, was genau das überhaupt ist und wie man damit leben kann. Leben. Kann man das so überhaupt noch nennen? Ich bin mir da nicht mehr so sicher. Wenn man von Bekannten hört, dass Partner an der Krankheit gestorben sind. Wenn man sieht wie die Gelenke sich verformen und wie die Hände aussehen können. Wenn man liest, dass die Halswirbelsäule instabil wird und man operiert werden muss damit einem das Rückenmark nicht abgeklemmt wird. Wenn man liest, dass das Herzinfarktrisiko um 50% steigt. Muss ich noch mehr schreiben? 

Jeden Tag sitze ich hier und denke darüber nach, wieso gerade ich das alles bekomme? Was habe ich verbrochen? Oder lieber ich, als meine Geschwister? Klar hat jeder sein Päckchen zu tragen. Aber wieso bekomme ich das ganze Paketzentrum? Morbus Crohn, Neurodermitis, Osteoporose, Fettleber, Rheumatoide Arthritis, Stoma..... Was denn noch alles? Ich hab manchmal keine Lust mehr. Dann sitze ich hier und schau in den Garten, denk mir, naja, das würdest du alles verpassen. Dann sehe ich meinen Mann und denke, den hast du doch erst ein paar Jahre. Wieso wird das alles auf die Probe gestellt bzw wieso kann so ein Paar wie wir es sind, nicht ewig existieren? Da hat man endlich den Partner fürs Leben gefunden und muss Angst haben, ihn viel zu früh zu verlieren. Wobei er mich ja verliert, nicht andersherum. 

Wenn einem jeden Tag die Gelenke schmerzen, jeden Tag die Bauchschmerzen da sind, hat man auch einfach irgendwann keine Lust mehr. Oder besser gesagt, keine Kraft. Woher soll ich die Kraft noch nehmen? Ich war jetzt 41 Jahre lang stark. Hab die Krankheiten über mich ergehen lassen. Bin mit allem einigermaßen zurecht gekommen. Doch jetzt ist es eine Krankheit die mich sozusagen auffrisst. 

Wer möchte denn verformt und humpelnd durch die Gegend laufen weil die Gelenke zerstört wurden? Wer möchte denn jeden Tag Angst haben dass die Medikamente nicht helfen und dass man in ein paar Jahren nicht mehr da ist? Wer möchte denn ständig daran denken ob das mit dem Stoma noch lange gut geht und man wenigstens damit Ruhe hat? Ich habe so oft Beschwerden beim Essen und Trinken. Die Versorgung hält nicht zu 100%. Ich vertrage kaum noch Lebensmittel. Dann darf ich zusätzlich jetzt Dinge nicht mehr essen oder trinken, da es die Arthritis noch fördert. Wisst ihr, ich denk eines Tages habe ich einfach genug. Klar kann ich sagen dass ich alles so hinnehme wie es ist und jeden Tag jetzt noch intensiver lebe und genieße. Aber wie lange? Ich bin 41 Jahre alt. Ich sollte mich freuen dass ich noch mindestens 30 Jahre haben sollte das Leben zu genießen. Zusammen mit meinem Mann. Ich bin schon froh wenn ich über 60 werde. Damals sagte man mir ja dass das mit dem Crohn und so nicht so lange werden wird. 

Ich hab einfach Angst. Angst vor Krankenhaus. Angst vor Schmerzen. Angst vor ständig Hilfe annehmen zu müssen. Angst vor "das geht nie mehr". Und dann muss ich mir nach wie vor diese Scheiße anhören, dass ich jung bin und wieso ich nicht arbeite. Wieso ich bei bestimmten Dingen nicht helfe. Ich hab da keine Lust mehr drauf. Ich bin ein Einzelgänger geworden. Meinen Partner mal rausgelassen, denn der gehört zu mir dazu. Ich meine mit Einzelgänger, dass ich keine Lust mehr habe mich mit anderen zu unterhalten. Mit anderen Menschen darüber zu sprechen wieso und weshalb das halt so ist bei mir. Um dann wieder in die verständnislosen Augen zu blicken die ich eigentlich jedes Mal sehe wenn ich darüber spreche wie es mir geht und was ich nicht mehr kann. Da ist die Angst halt auch mehr geworden. Wird man immer kritischer den Leuten gegenüber? Weil man einfach sieht dass bei denen alles geht und dass es natürlich viele einen Scheiß interessiert wie es anderen geht. Wenn man mitbekommt dass für die Nachbarn das Leben eine einzige Party ist und alles ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen wird. Ich möchte meine Ruhe. Ich möchte das was ich kann, genießen! Ich möchte die Zeit die ich habe genießen. Ich möchte die Angst loswerden dass ich in ein paar Jahren nicht mehr sein könnte. Im Moment gehen aber all diese Gedanken durch den Kopf. Weil ich eben nicht weiß wie es weitergeht. So sitze ich also jeden Tag hier und mache mir meine Gedanken. Werde ruhiger. Leiser. Werde zu dem was ich nie sein wollte. Ein einsamer, 41 jähriger Mann, der sich eingestehen muss dass die leichteste Gartenarbeit nicht mehr funktioniert. Einsam trotz des Partners fürs Leben an der Seite. Der aber eben auch nichts für einen tun kann, außer da zu sein. Aber möchte ich sein Leben auch einschränken? Damit ich ein besseres Leben habe? Oder begleite ich ihn solange wie ich kann und unterstütze ihn auch? Belaste ich ihn zu sehr? 

Meine Angst wird hoffentlich eines Tages verschwinden. Und ich hoffe dadurch, dass ich eine Besserung erfahre. Und nicht dadurch dass ich dann einfach nicht mehr da bin. Denn dann nimmt die Angst mich mit. An den Ort, wovor ich am meisten Angst habe. Der Ort an dem man ist, wenn man einfach von heute auf morgen nicht mehr da ist... 
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